Herbert Gerson


Wer ist Herbert Gerson?
Warum beschäftigen wir uns mit Herbert Gerson und warum wird diesem Menschen ein Stolperstein, ja, ein Gedenkstein gesetzt?

Viele der Fragen können wir nicht mehr beantworten, da Herbert vernichtet wurde – im wahrsten Sinne des Wortes. Man wollte ihn vernichten.
Es gibt ein Sprichwort, das geht ungefähr so: Tote Menschen, die wir liebten, werden niemals für uns sterben, wenn wir uns an sie erinnern.
An Herbert sollte sich keiner mehr erinnern. Seine Verwandten wurden ermordet, seine Eltern wurden ermordet, seine Schwester wurde ermordet, Herbert wurde ermordet. Alle direkten Lieben um Herbert wurden wie er vernichtet.
Nichts sollte bleiben. Das Erinnern sollte ausgelöscht werden.
Und doch erinnern wir uns an Herbert. Wir tun das, indem wir ihm einen Stolperstein gesetzt haben.

Erzählen wir doch mal von Herbert. Erst mal nicht über das, was wir wissen, sondern über das, was wir uns vorstellen könnten.
Herbert war ein junger Mann, sicher liebte er es, den Mädchen hinterher zu schauen. Mit anderen Jungs Witze über die Alten zu machen oder ab und zu etwas Verbotenes zu tun. Herbert war 13 als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Mit 13 erlebte er wie schon am 1. April 1933 die Menschen, auch in Geldern, Geschäfte von Mitbürgern jüdischen Glaubens boykottierten und beschädigten. Keiner sollte mehr bei Juden kaufen. Was heißt das für einen 13-jährigen deutschen Jungen, der ebenfalls dem Judentum angehört?
Die folgenden Jahre werden bestimmt nicht einfach für Herbert gewesen sein. Alle Jugendorganisationen wurden aufgelöst. Es gab jetzt nur noch die Hitlerjugend und da durfte er nicht mitmachen. Er durfte nicht mehr Fußballspielen mit den anderen, man wird ihn wohl gemieden haben, weil er der Religion des Judentums angehörte.
Mit 15 erlebt Herbert, wie die Nationalsozialisten während des Reichsparteitags in Nürnberg 1935 die so genannten „Nürnberger Gesetze“ erlassen. Das waren Rassegesetze für die Nazis, die die Menschen jüdischen Glaubens zu Menschen zweiter Klasse machten. Die Juden wurden per Gesetz zur Rasse, zu, wie Hitler sie nannte „Untermenschen“. Das Alter, in dem du dich gerade befindest, das Alter spiegelt die Jahre der Unterdrückung, der Ausgrenzung und der Diskriminierung für Herbert wieder.
Mit 17 muss Herbert erleben, wie die Nazis in Geldern ein Gesetz umsetzen, dass seinem Vater verbietet, weiter seinen Job als Viehhändler auszuüben. Die ganze Familie verdient plötzlich kein Geld mehr, da die Verordnung zum Führen eines Betriebes nicht für Juden gilt.
Die Gersons sind nun mittellos. Was aber sagen wohl die Gelderner? Protestiert irgendjemand? Regt sich jemand auf, dass es Rassegesetze gibt, die Gersons kein Geld mehr mit ihrem Viehhandel verdienen dürfen?
Nein. Niemand. Nicht einmal die Kirche.
(Und um das aus der Welt zu schaffen. Den Menschen wäre beim Protest nichts passiert. )
Die Gersons kämpfen sich wohl ein Jahr so durch, als am 9. November 1938 die Synagoge in Geldern in Flammen steht. Die Reichspogromnacht findet auch für die Gelderner Juden statt.
Das Gotteshaus wird vollkommen niedergebrannt. Die Feuerwehr löscht nur angrenzende Häuser, damit die Flammen nicht überspringen. Doch das war es noch nicht.
Für die Familie Gerson, für Herbert, seine Schwester Carola, seinen Vater Georg und seine Mutter Rosa bedeutet diese Nacht der absolute Schrecken.

Wie muss es für Herbert gewesen sein mit 18 Jahren zu erleben, wie Nachbarn die Synagoge anzünden oder wegschauen. Wie Nachbarn zusammen mit Nazis der Sturmabteilung (SA) das Haus seines Vaters stürmen, die Fenster einschmeißen, seine Schwester auf die Bahnhofstraße zerren, seine Mutter raustoßen, den Vater rausschlagen, ihn rausschlagen, sie auf der Bahnhofstraße mit ansehen müssen, wie ihr Haus zerstört wird, die Möbel rausgeworfen werden?

Wie muss das für Rosa und Carola gewesen sein, als das Wüten vorbei war und sie vor den Trümmern ihrer Möbel, den Scherben ihrer Fenster standen? Alleine auf der Bahnhofstraße, denn Georg und Herbert waren mitgenommen worden.

Vater und Sohn werden in dieser Nacht, wie ca. 30.000 andere deutsche Männer jüdischen Glaubens verhaftet. Für Georg und Herbert aber bleibt es nicht bei einer Nacht oder mehreren Nächten in Haft.
Sie werden beide ins KZ Dachau gebracht.
Georg Gerson, der im Ersten Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich kämpfte, wird nun in Dachau dazu genötigt, das Land zu verlassen. Das ist die Bedingung, um zu seiner Tochter und seiner Frau zurückzukommen.
Er unterschreibt einen entsprechenden Vertrag und wird entlassen.

Herbert aber muss im KZ Dachau bleiben, er wird festgehalten, darf nicht zurück zu seiner Familie.

In Geldern angekommen versucht Georg Gerson sein Haus auf der Bahnhofstraße zu verkaufen, um die nötigen Papiere für eine Ausreise in die Dominikanische Republik zu bekommen. Doch die schlechte wirtschaftliche Lage der Familie wird auch durch die Zwangsversteigerung des Hauses nicht besser, sodass den Gersons die Ausreise verweigert wird und sie gezwungen sind, ohne ein Dach über dem Kopf Geldern zu verlassen und zu Verwandten nach Essen zu ziehen.
Eine Familie, die Geldern verlassen muss, weil Geldern ihnen keine Heimat mehr sein will.

Und Herbert?
Herbert, der mit seinen 18 Jahren in Dachau Dinge erlebt hat, die wir uns nicht vorzustellen wagen. Was ist wohl passiert in Dachau? Was hätte mit Herbert in Dachau passieren können?
Herbert wird Dachau verlassen, jedoch nie mehr nach Geldern zurückkehren.
Was wohl seine Freunde gedacht haben? Die Nachbarn der Gersons?
Herbert wird kurz zu seinen Eltern nach Essen ziehen.
Kurz deshalb, weil 1941 die Deportationen der deutschen jüdischen Glaubens aus dem Rheinland beginnen.
Was wir wissen ist, dass die Familie bei diesen Deportationen getrennt wird. Herbert 21 Jahre alt, Carola 20 Jahre alt verlieren ihre Eltern Georg und Rosa. (für immer)
Carola kann den ersten Deportationen entkommen und flieht in die Niederlande nach Amsterdam. Dort wird sie zwei Jahre später mit 22 Jahren von den Nazis aufgespürt und in das KZ Westerbork deportiert. Von dort wird sie im Jahr 1944 nach Auschwitz deportiert. Sie wurde am 6. Oktober 1944 ermordet.
Rosa und Georg werden nach Izbica deportiert, ein Durchgangslager (Getto) für das Vernichtungslager Sobibor. Georg und Rosa gelten als „verschollen“ im Getto Izbica.

Und Herbert?
Herbert wird über viele Umwege ins KZ Mauthausen deportiert. Dort wird er am 12.10.1941 mit 21 Jahren ermordet. Herbert Gerson aus Geldern.





Text: Christian Ettwig

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